Seit 23 Jahren leitet Ghousuddin Mir seinen afghanischen Kulturverein. Gemeinsam mit Stellvertreterin Mechthild Geyer kümmert er sich um junge geflüchtete Männer in Wien ebenso wie um Mädchenschulen in Kabul. Ganz oben auf der Agenda: Frauen und ihre Rechte. Was es heißt, sich den traumatisierenden Folgen von Krieg und Islamismus entgegenzustemmen. Dabei nicht den Mut zu verlieren. Und ohne öffentliche Unterstützung immer weiter zu machen. „Wir sind alle Menschen. Das ist das Wichtigste für mich“.
Ghousuddin Mir wurde in Kabul geboren und hat dort die allgemeine Schulpflicht absolviert.
Anschließend studierte er Logistik an der Militärakademie in Kabul. Wegen des Bürgerkriegs musste er 1993 aus Afghanistan flüchten. Durch Empfehlung, Koordination und Unterstützung von Prof. Hermacora (ehemaliger ÖVP-Politiker) gelangte Mir nach Österreich. Trotz Sprachbarriere integrierte sich der heutige Vereins-Obmann und baute sich in der neuen Heimat eine Existenz auf.
Aufgrund der eigenen Fluchterfahrungen, sich traumatisiert, alleine und ohne Sprachkenntnisse in einem fremden Land wiederzufinden, fühlte sich Ghousuddin Mir verpflichtet, anderen AsylwerberInnen aus Afghanistan beratend und unterstützend zur Seite zu stehen. 1995 gründete er den ersten afghanischen Kulturverein in Wien.
Um die Bildung afghanischer Kinder und Jugendlicher zu fördern, organisierte Mir
Deutsch-, Englisch-, Muttersprach- und Mathematiknachhilfe-Kurse. Als Ergebnis seiner Bemühungen werden auch Muttersprachkurse in Dari an den Wiener Volksschulen angeboten.
„Fußball verbindet“ war das Motto, dass ihn inspirierte, integrative und internationale Fußballturniere für Jugendliche zu organisieren. Teilnehmen durfte jeder, egal welcher Herkunft, Religionszugehörigkeit oder politischen Meinung. Ziel war es, Jugendlichen zu zeigen, dass sportlicher Wettkampf besser ist als sich gegenseitig zu bekämpfen.
2017 wurde das erste Beratungszentrum für Flüchtlinge aus Afghanistan gegründet. Neben Rechtsberatung fanden auch Integrations-, Muttersprach- sowie Deutschkurse statt. Obwohl dem Projekt 2018 die Mittel gestrichen wurden setzte Mir die Kurse mit freiwilligen MitarbeiterInnen in geringerem Ausmaß fort.
Ghousuddin Mir hilft Angehörigen verstorbener Afghanen durch Spendensammlungen bei den Begräbniskosten und organisiert auf Wunsch der Familienangehörigen die Überführung des Sargs nach Afghanistan. Er organisiert Übersetzer oder begleitet selbst afghanische Flüchtlinge, die neu in Österreich sind und nicht Deutsch sprechen, bei Behördenwegen, bei der Wohnungssuche und im Asylverfahren. Er vermittelt oft in schwierigen Familienangelegenheiten als Mediator.
Um die Hilfestellung für afghanische Flüchtlinge zu erweitern gründete er im Jahre 2000 den Verein „Solidarität mit afghanischen Flüchtlingen“. Der Verein spezialisiert sich auf die Hilfestellung für
afghanische Flüchtlinge in ganz Europa und nahm bereits an mehreren Konferenzen in Deutschland, den Niederlanden, Schweden, Spanien, Belgien und in Griechenland teil. Als Afghanen in Griechenland Schwierigkeiten mit der örtlichen Polizei hatten, reiste Mir 2004 als Vermittler dorthin.
Als Anfang 2005 der damalige Hamburger Innenminister Udo Nagel die Lage in Afghanistan als sicher einstufte und Flüchtlingsfamilien zurückschickte, organisierte Ghousuddin Mir in Zusammenarbeit mit verschiedenen Organisationen eine große Demonstration gegen die Abschiebungen in Hamburg. Es gab bisher vier Konferenzen gegen Gewalt an Frauen – 2006 in Hamburg, 2011 in den Niederlanden, 2014 und 2017 in Österreich.
Seit 2004 fliegt Mir jährlich nach Kabul und unterstützt mit Hilfe von Spendengeldern afghanische Straßen- und Waisenkinder. Besonders nennenswert ist hierbei die Unterstützung bzw. Zusammenarbeit mit Salesianer DonBosco und „Jugend eine Welt“.
Im Jahre 2004 half Mir in Zusammenarbeit mit dem Friedensverein in Salzburg 48 Waisenkindern in Kabul. 2012 konnte durch Spendengelder neben der Unterstützung armer Kinder auch ein extra Klassenzimmer für eine überfüllte Schule gebaut werden. Davor mussten viele Kinder wegen Platzmangels am Gang unterrichtet werden. 2015 konnte der Verein einer überfüllten Schule Zugang zu sauberem Trinkwasser ermöglichen. Dank einer Spende von „Jugend eine Welt“ konnte 2016 ein Sichtschutz für eine afghanische Mädchenschule gebaut werden. Zuvor trauten sich die Schülerinnen sich nicht, Sport im Freien zu betreiben.
In den Medien sieht man nur die schlechte Seite Afghanistans, weshalb viele ÖsterreicherInnen mit dem Land nur Mord, Terror, Drogen und Raub verbinden. Ghousuddin Mir hat sich zum Ziel gesetzt auch die schöne und friedliche Seite des Landes zu präsentieren und damit Verständnis für ein gemeinsames und friedliches Miteinander zu schaffen. In diesem Sinne veranstaltet er jedes Jahr kulturelle Feste an denen jede und jeder, egal welcher Herkunft oder Religionszugehörigkeit teilnehmen kann. Besonders nennenswert ist das Naurozfest (persisches Neujahr), auch Frühlingsfest genannt. Seit der Gründung des Vereins wird dies Fest, das durch die Taliban in Afghanistan verboten wurde, jedes Jahr gefeiert. Zu Beginn nahmen kaum ÖsterreicherInnen oder Menschen anderer Nationalitäten an dieser Veranstaltung teil. Mittlerweile wird sie von vielen Österreichern, Indern, Kurden, Türken und Persern besucht.
Das Programm der Feste ist vielfältig. Um auch von anderen Kulturen lernen zu können, werden Künstler unterschiedlicher Nationen eingeladen, um den interkulturellen Dialog zu fördern. Um AfghanInnen die österreichische Kultur zu präsentieren und ihren Integrationswillen zu demonstrieren, veranstaltet Mir eine jährliche österreichische Weihnachts- und Silvesterfeier. Nennenswert ist dabei die Unterstützung und Zusammenarbeit mit der Kulturabteilung des Magistrats der Stadt Wien.
Ghousuddin Mir organisierte fünf große Friedenskonferenzen in den Jahren 1996, 1998, 2001, 2005 und 2014 in Wien, Hamburg und Rotterdam. Ziel war es, die weltweit verstreuten Afghanen in den Friedensprozess einzubinden. Auch sollte erörtert werden, wie der Wiederaufbau schneller und effektiver voranschreiten kann.
Ebenso, welche Änderungen es braucht, damit afghanische Jugendliche nicht aus dem Land flüchten müssen und wie Extremismus bekämpft werden kann. An den Konferenzen nahmen Afghanistan-ExpertInnen aus Europa und ranghohe afghanische Regierungsmitglieder teil.
Mir organisiert, je nach Anlass, friedliche Demonstrationen in Wien, um den Unmut der Afghanen gegen Fundamentalisten und Terroristen, aber auch die soziale Ungerechtigkeit in Afghanistan zum
Ausdruck zu bringen.
2005 veranstaltete Mir in Wien eine große Konferenz unter dem Motto „Weg mit den Waffen“. 2015 organisierte er eine friedliche Demonstration gegen den Tod der Afghanin Farkhonda, die in Kabul von einem Mob auf bestialische Weise gelyncht wurde, weil sie angeblich einen Koran verbrannt habe. Die Botschaft war klar: kein Mensch, egal welcher Religionszugehörigkeit, hat solch einen Tod verdient. Betroffenen Menschen in Afghanistan wird das Recht auf Unterstützung durch die Justiz verwehrt.
Neu eingewanderte AfghanInnen kennen ihre Rechte in Österreich zunächst nicht. Meistens bilden sie sich nicht weiter und bringen sich nicht gesellschaftlich ein, weil ihnen dafür wichtigen Informationen fehlen. Um diesen Problemen entgegenzuwirken, brachte Mir im Jahr 2001 die erste afghanische Frauenzeitschrift Europas namens „BANU“ heraus. Sie will Frauen aufklären und für gesellschaftliche Teilhabe gewinnen. Die Zeitung hat Abonnenten in ganz Europa. Themen sind Kultur, Medizin, Nachrichten, Kosmetik, Haushalt und Unterhaltung.