Zahra ist 22. In Afghanistan war sie eine Frau ohne Rechte. In Österreich beginnt die beeindruckende Geschichte ihrer Emanzipation.
Neunzehn ihrer zweiundzwanzig Lebensjahre hat Zahra Hashimi so verbracht wie es sich — aus Sicht der Männer — für eine afghanische Frau gehört: ohne Recht auf Selbstbestimmung. Geboren wurde sie im Iran wohin ihre Eltern vor den Taliban geflüchtet waren, wo sie heirateten und ihr Vater die Familie als Schneider durchbrachte. Doch afghanische Flüchtlinge genießen im Iran so gut wie keine Rechte. Irgendwann versuchten die Hashimis in die Türkei zu gelangen, wurde aber von dort nach Afghanistan zurück geschoben. Ihre Jugend verbrachte Zahra daher mit ihrer jüngeren Schwester und den zwei kleinen Brüdern in Kabul. Ihre zweite Schwester ist verheiratet und lebt im Iran.
Jungen Frauen eröffnen sich in der afghanischen Hauptstadt mehr Möglichkeiten der Entfaltung als am Land, doch auch dieser Spielraum, musste Zahra bald erkennen, hat enge Grenzen. Mit 14 wurde sie mit ihrem Cousin zuerst verlobt und dann verheiratet, weil ihre Eltern es so wollten, weil die Tradition es für sie vorsah. Eigentlich wollte Zahra in Kabul studieren, doch das ließ ihr Mann nicht zu. „Du musst Geld verdienen“, darauf hat er bestanden, und so hat sie einen Job gesucht. In einem kleinen Ort, rund sechzig Autominuten von Kabul entfernt, unterrichtete sie in einem Zentrum für Frauen, dessen Finanzierung von der amerikanischen Botschaft unterstützt wurde. In einem Gebiet das die Taliban kontrollierten.
„An den Hauswänden standen überall Sprüche wie: Musik ist verboten. Alles war verboten“. Sie trug Hosen, so wie in der Stadt, und engsitzende Jacken. Und war geschminkt, „weil ich das gerne mag“. Das wurde dort draußen allerdings nicht gern gesehen. „Zieh dich schwarz an, verhülle deinen Körper“, hieß es, „aber das habe ich nie gemacht“.
Von Haus zu Haus sei sie gegangen, mit den Frauen habe sie gesprochen, mit einer nach der anderen, und ihnen angeboten, in das Frauen-Zentrum zu kommen. „Vertraut mir, ich lasse keinen Mann ins Zentrum, dort seid ihr sicher“. Sie habe gemerkt, dass die Frauen interessiert gewesen seien, denn ihr nonkonformistisches Verhalten habe sie in dem kleinen Ort schnell zu einer Berühmtheit werden lassen. „Als ‚Teacher Zahra’ war ich bekannt“, und genau das war das Problem. Eines Tages stand, allen Versprechen zum Trotz, ein Mann in ihrem Büro und sagte: „Entweder du verschwindest von hier oder du stirbst. Das war einer von denen, die im Ort das Sagen hatten. Was die entscheiden, das geschieht auch. Die Taliban, die ich bis dahin gar nicht gesehen und von denen ich nur gehört hatte, hätten meine Adresse, sagte er, die würde mich finden“.
Ihr Vater arbeitete mittlerweile als Fahrer. Der Krieg in Afghanistan, das spürte er, ist auch in Kabul immer nur ein paar Straßen entfernt. „Jedes Mal wenn er zur Arbeit gegangen ist, hat er mich und meine Geschwister angeschaut und gedacht, vielleicht sehe ich ihre Gesichter zum letzten Mal. Man wusste nie, wo und wann die nächste Bombe hochgeht.“
Als Zahra 19 ist, flieht die Familie erneut und gelangt schließlich nach Kärnten in Österreich. Und endlich kann sich der rebellische Geist, der immer schon in ihr gewohnt hat, entfalten. Sofort nach der Ankunft lässt sie sich scheiden und nimmt ihr Kopftuch ab, ohne dass man sie vorher nie gesehen hätte. Für ihre Eltern ein Schock, für Zahra der Beginn ihrer Emanzipation aus kulturellen Fesseln und weitgehender Rechtlosigkeit.
Sie besucht das Mädchenzentrum in Klagenfurt, dann das dortige Abendgymnasium, sie lernt Gleichaltrige kennen und sich zu behaupten. Belegt als außerordentliche Hörerin Kurse an der Klagenfurter Universität. Will sich in alle möglichen Richtungen entwickeln, als Bankkauffrau, als Sängerin, vor allem aber als Journalistin. Mittlerweile arbeitet Zahra in einem interkulturellen Zentrum als Sekretärin und Reporterin und weiß: „Nie im Leben würde ich nach Afghanistan zurück gehen, Österreich ist jetzt meine Heimat.“
Ihre Schwester ist mittlerweile 16, geht ins Gymnasium und möchte Polizistin werden. Ihre beiden Brüder sind sechs und acht, sprechen perfekt deutsch und wachsen auf wie Österreicher mit Migrationshintergrund.
Zahra ist in ihrer neuen Heimat angekommen, aber sie weiß, dass abgelehnte Asylwerber aus Österreich wieder vermehrt nach Afghanistan abgeschoben werden, nach Kabul, weil es dort angeblich sicher sei. Sie widerspricht heftig. „Afghanistan ist kein sicheres Land“. Sie kennt einen afghanischen Jungen in Kärnten, „der ist in vier Theatergruppen, ein sehr fröhlicher Mensch. Und der sagt, wenn ich von hier weg muss, weil ich einen negativen Bescheid bekomme, dann bringe ich mich um.“
Unterdessen hat die Anzahl ziviler Opfer in Afghanistan laut einem aktuellen Bericht des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte einen neuen Höchststand erreicht. 2018 haben die kriegerischen Auseinandersetzungen im Land 3.804 Zivilisten das Leben gekostet, 7.189 wurden verletzt. Das sind elf Prozent mehr als im Jahr zuvor. 65 Selbstmordanschläge, hauptsächlich in Kabul, wurden 2018 von den Taliban und dem Afghanistan-Ableger des ‘Islamischen Staats’ verübt. Damit sind sie landesweit für rund 2.200 zivile Todesfälle verantwortlich.
In Salzburg hat vor kurzem der Fall eines anderen pakistanischen Jungen Aufmerksamkeit erregt, der eine Ausbildung zum Kellner absolvierte und nach einem negativen Asylbescheid in seine Heimat abgeschoben werden sollte. Ein halbes Jahr hat Ali Wajid im Kirchenasyl verbracht, bevor er letztlich doch in Abschiebehaft genommen wurde. Seine Unterstützer konnten ihn im letzten Moment in ein Flugzeug nach Kenia setzen wo er nun — mit einem Touristenvisum — in einem Kloster untergekommen ist. Vorübergehend. Ausgang ungewiss. Seine Rückkehr nach Pakistan, heißt es, käme einem Todesurteil gleich, denn dort gälte er wegen seiner Zuflucht zur Kirche als zum Christentum konvertiert.
Zahra weiß aus eigner Erfahrung, wovon die Rede ist: „Manchmal gehe ich auch in eine christliche Kirche, in diese besondere Atmosphäre, um zur Ruhe zu kommen und um nachzudenken. Wenn ich das meiner Cousine erzählen würde und sie erzählt das weiter, würden meine Leute auch denken, ich sei Christin geworden. Ich würde, hieße es dann, auch Schweinefleisch essen, ich sei unrein, und sie würden mich dafür hassen“.
Zahras Weg, wohin auch immer er führen mag, ist noch lange nicht zu Ende. Eigentlich hat er gerade erst angefangen, aber sie geht ihn mit Zuversicht und Mut.